Mittwoch, 18. Oktober 2006

Schau Mami, von 5 auf 4 minus!

Mit Englisch hatte ich in der Schule kaum Probleme. Dank eines ausgefeilten Memory-Performance-Systems*, das ich aufgrund von einzelnen Hinweisen der jeweiligen Lehrkraft selbst entwickelt hatte, konnte ich mir die Vokabeln recht gut einprägen. Grammatik fiel mir etwas schwerer, aber durch ein gewisses Sprachgefühl, Intuition und einen Schüleraustausch - in Englisch gibt es ja sowieso so gut wie keine festen Regeln - bekam ich auch das hin. So kam es in der 9. Klasse, dass unser Englischlehrer, Mr. Reisch, für einzelne Leute mit Zweiern und auch gelegentlich mal einem Einser dazwischen irgendwoher Frischfleisch besorgte. Also Fünftklässler für die Mädels und Fünftklässlerinnen für die Buben. Meine Fünftklässlerin, der ich von dem Moment an einmal wöchentlich die Präpositionen erklären sollte, hieß Christa, war schon in der Siebten und hatte ein Problem mit Englisch im Allgemeinen. Sie mochte am Fach und am Unterricht gar nichts, konnte mit einer Sprache außer ihrem Dorfdialekt nichts anfangen und wollte auch nicht mit mir die Stunde vor dem allerletzten Schulbus in einem extra dafür aufgesperrten Klassenzimmer sitzen.

Ich, für meinen Teil, fand sie echt attraktiv: Die fünf oder sechs Mark, die mir dafür jede Woche verdienen sollte. Aber auch nicht so attraktiv, dass ich mir dafür eine Stunde mit jemandem um die Ohren hauen wollte, der für so was schönes wie die Möglichkeit, sich plötzlich mich 500 Millionen Menschen mehr als vorher unterhalten zu können, überhaupt nichts übrig hatte. Also versuchte ich, mit wenig Einsatz viel zu erreichen. Als ich selbst in der Fünften oder Sechsten gewesen war, bekamen die Englisch-Besseren mal Fünftklassbücher von woanders. Vielleicht war es ein Fehldruck oder die Bücher waren überholt, aus Norddeutschland oder sogar aus der DDR. Ich hatte es damals mal wie ein Daumenkino durchgeblättert und dann irgendwo hingelegt, weil es schon von der Farbgebung her fad wirkte (also wahrscheinlich doch DDR). Dieses Buch solte jetzt mein Joker werden und Christa einen ganz neuen Einstieg in das Erlebnis Fremdsprache im Allgemeinen und Englisch im Besonderen ermöglichen. Leider war Christa eben schon in der Siebten, und an ein Fünftklassbuch war das einfach ein zu hoher Anspruch.

So sagte mir Christa in jeder Stunde, wo ihr in der letzten Ex** die meisten Punkte abgezogen worden waren, und ich versuchte, mich dem Thema zu widmen. Völlig planlos, natürlich, und auch kaum mit dem erhofften Erfolg. Aus der Fünf wurde keine 2, auch keine 3, sondern gerade mal eine Vier minus. Überhaupt war schon Sommer, ich wollte an den Baggersee und was interessierte mich eigentlich Christa und die 5 oder 6 Mark? So dauerte meine Nachhilfekarriere gerade mal ein paar Wochen.

Heute denke ich, ich könnte solche Schülern dank eines gewissen Abstands wirklich den einen oder anderen neuen Zugang zu einem Thema wie einer Sprache verschaffen. Vielleicht versuch ich es demnächst doch nochmal mit Nachhilfe für Fünft- bis Siebtklässler. Wenn ich es mir vorstelle, merke ich, wie viele amerikanische Collegefilme ich wohl schon gesehen hab: In Gedanken kommen meine Zöglinge mit dem Zeugnis in der Hand aus dem Schulhaus. Mit strahlenden Gesichtern rennen sie auf mich zu. Danke, Yooee, wir haben es geschafft! Ne 2 in Englsch und Spanisch, doch nicht sitzengeblieben! Zwei von ihnen schütten mir von hinten eine Gatorade-Tonne über den Kopf und dann tragen sie mich auf Schultern aus dem Stadion vom Schulhof.

Morgen häng ich mal einen Zettel beim Schulbus zum Gymnasium auf.



* Memory Performance System: Im Vokabelheft links alle neuen englischen, rechts die dazugehörigen deutschen Wörter mit der Hand aufschreiben. Nach jeder Stunde, nach jeder Lektion. Klingt komisch, ist aber so. Und es hilft!

** Stegreifaufgabe, so nannte man zu meiner Zeit eine unangekündigte Überprüfung des Leistungsstandes

Bockbierbowle

- eine frage der richtigen mischung -

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