Wer von den 6 Mitarbeitern unseres Büros morgens zuerst hereinkommt, nimmt normalerweise die Zeitung aus der Rohrförmigen Box, die etwa 2 m rechts von der Eingangstür angebracht ist, sperrt auf und geht rein. Auf dem Weg zur Tür geht man automatisch an der Zeitungsbox vorbei.
Deshalb kann man entweder an der Box stehenbleiben, die Zeitung aus dem auf beiden Seiten geöffneten Rohr herausziehen und dann die zwei, drei weiteren Schritte in Richtung Türe machen. Oder, und ich halte das für den sportlich-eleganteren Weg:
Man stupst die Zeitung sobald man sie erreichen kann mit der rechten Hand in das Rohr hinein, gerade soweit, dass sie auf der anderen Seite etwas weniger als zur Hälfte heraus schaut,
- zieht sie anschließend in der gleichen Bewegung im Vorbeigehen heraus und klemmt sie sich z.B. unter den Arm, so dass man sofort die Türe aufschließen kann.
Da es von vielen Faktoren abhängt, ob diese Bewegung leicht und fließend abläuft, oder ob man wegen mangelnder Präzision in der Ausführung darin innehalten oder gar zurückgehen muss, sehe ich die Prozedur gerne als Orakel.
Herrn twoblog wird schon dieser Umstand zu einer klaren tiefenpsychologischen Schlussfolgerung führen:
Ein dosierter Stoß in eine Öffnung hinein – was kann das wohl bedeuten? Mir kommt es bei der Auswertung eher auf den weiteren Verlauf an:
1. Die Zeitung wird exakt an der richtigen Stelle mit der richtigen Kraft getroffen und bleibt in der perfekten Position liegen, damit ich sie in Sekundenbruchteilen greifen und herausziehen kann: Es wird ein guter Tag. Was ich heute vorhabe wird gelingen.
2. Ich treffe die Zeitung, komme aber mit der Hand zu weit nach vorne und schlage mit der Hand oder schlimmstenfalls mit dem kleinen Finger an den Lochrand: Es hätte ein guter Tag werden können, aber wegen der Schmerzen werde ich zumindest den halben Vormittag leichte Konzentrationsschwierigkeiten bekommen.
3. Ich treffe die Zeitung, jedoch zu fest. Sie schießt durch das Rohr und landet auf dem Boden. Womöglich regnet es auch noch, die Zeitung ist nass und deshalb reißen beim Aufheben auch noch einige Blätter aus: Die Harmonie, die ich noch beim Gang in Richtung Zeitungsbox zu spüren glaubte, wird durch Umstände zerstört, die nicht allein meiner mangelnden Koordination, sondern auch von mir nicht beeinflussbaren Faktoren zuzurechnen sind. Das Glück ist heute nicht auf meiner Seite, falls Besorgungsfahrten o.ä. anstehen, soll die lieber ein Kollege übernehmen.
4. Wie 3., jedoch nehme ich den Abflug der Zeitung wie im Matrix-Film verlangsamt wahr, folge ihr kurz mit den Augen, um sie dann wie beiläufig im vorbeigehen aufzufangen: Heute klappt alles. Nimm Dir frei, spiel Golf , Lotto und geh abends ins Casino würfeln.
5. Ich treffe die Zeitung gut, durch ihre ursprüngliche Lage im Rohr verkantet sie sich aber mit dem daneben liegenden Fenstersims.
Ich muss anhalten, und sie umständlich herausrütteln, es vergehen wertvolle Sekunden: Mach langsam, Du könntest sonst stolpern.
Die Anzahl der möglichen Ausgänge ist praktisch unbegrenzt, und sie geben stets einen Hinweis auf den weiteren Verlauf des Tages. Und auch hier ist es wie beim Horoskop: Sieht es schlecht aus, freut man sich umso mehr, wenn es mal nicht stimmt.